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Wahlkampf ist wie Seiltanzen

Wenn Parteien Wahlprogramme verabschieden, nehmen sie es bisweilen nicht so genau mit der Frage, was sie dort realistischerweise versprechen können – und was sie lieber lassen sollten. Mit diesen Papieren ist es deshalb wie bei einer Trendsportart. Wer wählen geht, muss das wissen.

In Zeiten des Wahlkampfes ist das Wahlprogramm für die Parteien ein Balanceakt.
Foto: Markus Spiske auf Unsplash

Diese Veröffentlichung im Rahmen des Blogs stellt keine Meinungsäußerungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.


von Sebastian Haak

Es ist Zeit, über das Machbare zu reden. Und über Trendsport.

Erstens, weil seit Wochen überall in Thüringen ungezählte Wahlplakate hängen. Die haben zwar eigentlich nichts mit der Landtagswahl zu tun. Sondern mit der sehr bald anstehenden Europawahl und den Kommunalwahlen. Doch wird das Ergebnis dieser Wahlen natürlich ein kleiner Stimmungstest vor der Abstimmung über die neue Zusammensetzung des Landtages in Erfurt im September sein. Ganz abgesehen davon, dass sich im Europa- und im Kommunalwahlkampf das gleiche Grundproblem stellt wie im Landtagswahlkampf, wenn es um Machbares geht.

Zweitens ist es an der Zeit darüber zu reden, weil die CDU vor wenigen Tagen ihr Wahlprogramm vorgestellt hat – und damit einen Balanceakt versucht, den alle Parteien, eben in allen Wahlkämpfen gleichermaßen versuchen müssen. Auf Landesebene ist dieses Balancieren besonders schwierig.

Im dreigliedrigen deutschen Staatsaufbau kann nicht jeder durchsetzen, was er gerne möchte

Denn es ist so ja: Im grundsätzlich dreigliedrigen, im Detail aber doch viel komplizierteren deutschen Staatsaufbau – der Kommunen, Länder und den Bund kennt – kann längst nicht jeder politische Verantwortungsträger alles durchsetzen, was er gerne durchsetzen würde. Im Gegenteil. Jeder Bürgermeister, jeder Ministerpräsident und sogar der Kanzler hat nur einen bestimmten Gestaltungsspielraum; wie auch jeder Bundestags- oder Landtagsabgeordnete beziehungsweise jeder Gemeinde- oder Stadtrat.

So kann sich beispielsweise ein Landes-Innenminister selbstverständlich wünschen, dass die deutschen Grenzen besser gegen irreguläre Migration geschützt werden. Oder eine Landes-Gesundheitsministerin kann für eine bessere Grundfinanzierung von Krankenhäusern werben. Wirklich entscheiden können sie darüber aber nicht. Weil die grundsätzliche Zuständigkeit für den Grenzschutz ebenso wie für die Finanzierung von Krankenhäusern nicht bei den Ländern, sondern beim Bund liegt.

Insbesondere für die Landesebene ist dieser Zustand misslich, weil die Landtage und die Landesregierungen in Deutschland zunehmend an Bedeutung verlieren. Sowohl in der Wahrnehmung vieler Menschen als auch tatsächlich. Das Leben der Menschen spielt sich vor Ort ab. Dort, wo Bürgermeister und Gemeinderäte das Sagen haben. Und über viele der großen Fragen, die sich auch unmittelbar auf das Leben von Menschen auswirken – die Sicherung von Grenzen, Fragen von Krieg und Frieden, die Zukunft der Energieversorgung – bestimmt der Bund. Jenseits von Polizei und Schulen oder Kindergärten gibt es deshalb kaum noch echte, für die Lebenswelt der Menschen bedeutende, direkte Länderzuständigkeiten. Und selbst dort redet der Bund heute in einem Ausmaß mit, das noch vor ein paar Jahrzehnten undenkbar war.

Bundesländer wirken wie Katalysatoren oder Inhibitoren für Entwicklungen

Das bedeutet nicht, dass die Länder bedeutungslos wären. Bestimmt nicht. Im deutschen Staatssystem aber wirken sie inzwischen eher wie Katalysatoren für Entwicklungen, deren Richtung anderswo vorgegeben wird. Oder sie versuchen solche Entwicklung zu verlangsamen, wie Inhibitoren. Grundsatzentscheidungen dagegen fallen kaum in die Hoheit der Länder.

Beispiel Ausbau der Erneuerbaren Energien und Abschied von der Kernkraft. Beschlossen auf Bundesebene. Die Länder haben nur noch – etwa durch die Ausweisung von Gebieten, auf denen Windräder stehen dürfen – die Möglichkeiten, den Ausbau von grüner Energie zu befördern. Oder ihn durch die Sperrung bestimmter Gebiete zu behindern. Dass der Ausbau kommt, ist dennoch klar.

Warum das alles wichtig ist und an dieser Stelle, zu dieser Zeit steht: Weil es für Wähler entscheidend ist, sich zu fragen, ob das, was eine Partei in einem Wahlprogramm verspricht oder sie als Slogans auf ihre Wahlplakate druckt, sich durch diese Partei im Zusammenhang mit einer bestimmten Wahl überhaupt durchsetzen lässt. Seriös sind immerhin nur solche Versprechen, die sich in der Theorie auch wirklich halten lassen. Ganz abgesehen von der Praxis, die mit Blick auf die Landtagswahl noch viel komplizierter sein wird, weil keine einfachen politischen Mehrheiten in Sicht sind.

Seriosität des Wahlprogramms macht sich auch an den Themen fest, die entschieden werden können

Wie entscheidend diese Seriosität ist, hatte der Landesvorsitzende der CDU, Mario Voigt, bei der Vorstellung des Wahlprogramms seiner Partei deshalb nicht ohne Grund noch einmal betont. In ihrem „Thüringen-Plan“ beschreibe die Union, „was konkret umsetzbar ist“, hatte Voigt gesagt – und unter anderem aufgezählt, dass die Union eine „Lesen-Schreiben-Rechnen-Garantie“ in Thüringen einführen wolle. Meint: Mehr Lehrer einstellen und so den Unterrichtsausfall reduzieren, was zu besseren Schulleistungen führen soll. Zweifellos eine Ansatz, für den die Zuständigkeit auf Länderebene liegt.

Im gleichen Papier allerdings formuliert die CDU – und noch mal: diese Partei steht hier nur exemplarisch für das Verhalten aller Parteien – auch Dinge als Ziele, die sie auf Landesebene niemals umsetzen kann; wie etwa den Wunsch, das Verbot von Autos mit Verbrennermotoren ab 2035 zu kippen. „EU-Verbrennerverbot stoppen“, steht in dem Plan. Damit verweist die CDU selbst darauf, dass dieser Beschluss auf EU-Ebene gefasst wurde. Und da hat das kleine Thüringen nun mal gar keine Zuständigkeit; und keinen echten Einfluss.

Mit Wahlprogrammen ist es also ein bisschen wie beim Seiltanzen, das Neudeutsch, als Trendsportart, slacklinen oder slacken heißt: Wer Balancieren muss, kippt manchmal zur Seite weg. Manchmal tut man sich dabei sogar weh.


Zum Autor
Sebastian Haak arbeitet seit etwa zwanzig Jahren als freier Journalist in Thüringen. Der promovierte Historiker berichtet insbesondere über die Thüringer Landespolitik. Er schreibt unter anderem für Freies Wort, die Thüringische Landeszeitung und die Deutsche Presse-Agentur.
Foto: ari