Informationskompetenz – der Zugangsschlüssel für die Medienwelt
Es ist zehn Jahre her, als eine Studie des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig den Auslöser lieferte: Schulabgänger und Berufsschüler wurden damals zu ihrer Medienkompetenz befragt und einem Textverstehenstest unterzogen. Das Ergebnis: Es zeigten sich markante Kompetenzdefizite.
Diese Veröffentlichung im Rahmen des Blogs stellt keine Meinungsäußerungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.
von Michael Haller
Die Studie unseres Instituts ergab, dass zwei von drei Lehrlingen und Volontären (erstes Lehrjahr) nicht in der Lage waren, in Zeitungstexten Tatsachen von Meinungsäußerungen zu unterscheiden. Eine Mehrheit der Schüler hielt eine Nachricht der Presseagentur dpa für eine Meinungsäußerung. Als Grund nannten die Berufsschüler, dass sie die Information der Nachricht „nicht gut finden“. Umgekehrt hielt jeder Zweite den Kommentar eines Lokalredakteurs für einen nachrichtlichen Bericht. Viele nannten als Grund, dass für sie die Darlegung „überraschend“ gewesen sei, sie zuvor so etwas nicht gedacht hätten. Drei Jahre später publizierte die TU Dresden eine Studie, die ein ähnliches Bild zeichnete: Getestete Schulabsolventen seien mehrheitlich nicht in der Lage, den Wahrheitsgehalt von Sachaussagen (wie: Nachrichten, Behauptungen und Mutmaßungen) als solche zu erkennen. Ihr Fazit: „Kinder werden in der Schule nur mangelhaft auf die Mediengesellschaft vorbereitet“.
Ohne Informationskompetenz, dies folgt aus beiden Studien, können populistische Reden, Polit-Propaganda und Verschwörungsgerede nicht durchschaut und die für die Berufskarriere erforderlichen Kenntnisse nicht ausreichend erworben werden. Umgekehrt zeigen Erhebungen, dass medienkompetente junge Leute sich umfassender informieren, sich deutlich mehr am politischen Gespräch beteiligen und sich häufiger über glaubwürdige Newsmedien informieren als die Kompetenzschwachen.
Das Problem: Für die Schulabgänger in den neuen Bundesländern, die eine Berufsausbildung ansteuern, gab es damals kaum Schulungsmöglichkeiten für den Umgang mit Onlinemedien und Social-Media-Plattformen. Um diesem Missstand abzuhelfen, haben die für Schule und Bildung zuständigen Landesminister „Digitalstrategien“ konzeptualisiert und beschlossen (in Thüringen das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport mit der „Digitalstrategie Thüringer Schule“ im Dezember 2018).
Lehreinheiten für den Präsenzunterricht
An dieser Stelle setzt unser Projekt an. Denn auch die Auswertung bestehender Lehrinhalte bestätigte uns, dass die im Sekundar- und Berufsschulunterricht vermittelten Inhalte das Thema „Medien- und Informationskompetenz“ ausklammern. Wir setzten uns deshalb zum Ziel, mit der Entwicklung und Implementierung eines neuen Unterrichts- und Trainingsprogramms einen Beitrag zur Linderung dieses Missstands zu leisten. Dies war unser Startpunkt Anfang 2018, ermöglicht durch die Stiftung Neue Länder (SNL), die unsere Problemanalyse sofort verstand und uns die erforderlichen Fördermittel zusagte.
Um nun die Lehrmittel und didaktischen Ansätze für solch ein Programm praktisch zu erproben, konnten wir drei Berufsschulzentren als Pilotschulen gewinnen. Zudem konnten wir vermittels einer breiten Befragung in diesen Berufsschulen das Informationsverhalten, die Mediennutzung und die Kompetenzdefizite der Schülerinnen und Schüler wie auch der Lehrkräfte kennenlernen. Diese Daten halfen uns, die Zielsetzung zu schärfen und Lehrinhalte an die Vorkenntnisse anzupassen.
Von daher haben wir Sinn und Zweck des Lehr-/Lernprogrammsfolgendermaßen definiert:
Fake-News erkennen, Propaganda durchschauen, Cybermobbing unterbinden, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, die Regeln sachlicher Kommunikation beherrschen: Mit dem Programm erwerben Berufsschülerinnen und -schüler die für die digitale Medien- und Arbeitswelt erforderlichen Informationskompetenzen. Das Konzept geht davon aus, dass die Logiken des Informationsaustauschs am digitalisierten Arbeitsplatz ebenso gelten wie für die Newsmedien-Nutzung und den persönlichen Chat auf den Plattformen der Social Media.
In den folgenden zwei Jahren entwickelten wir für den Präsenzunterricht insgesamt 9 modular konzipierte Lehreinheiten. Durch die Lehrkräfte, durch Hospitationen wie auch durch Schülerbefragungen wurden diese kontinuierlich verbessert und die Didaktik an die Wünsche der Lehrkräfte angepasst. Das so gewonnene didaktische Konzept lässt sich folgendermaßen umreißen:
Einfach strukturierte Einführungen und interaktive Übungen sensibilisieren die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf ihr persönliches Kommunikationsverhalten und ihre Mediennutzung; sie erkennen ihre Nutzungsmuster und lernen Merkmale fairer Kommunikation sowie zuverlässiger Nachrichten kennen. Anhand griffiger Anleitungen können sie Nachrichten checken und Bilder überprüfen. Schritt um Schritt trainieren die Schülerinnen und Schüler, wie sie Meldungen, Erzählungen und Meinungen unterscheiden, wie sie Möglichkeiten von AR und VR verstehen und wie sie Sicherheit im Umgang mit den Social Media-Plattformen erlangen können.
Im Fortgang des Jahres 2019 stieg die Nachfrage durch Lehrkräfte, die an Oberschulen und Gymnasien unterrichten. Sie wollten unser Programm kennenlernen und im Unterricht einsetzen. Entsprechend haben wir die Lehreinheiten angepasst. Seither führen wir Weiterbildungskurse in Schulen und Online-Workshops für Lehrkräfte vermittels der Fortbildungseirichtungen in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit wachsender Frequenz durch. Diese Ausweitung spiegelt sich in den Lehreinheiten wider: Mehrere Module haben wir für unterschiedliche Wissensniveaus (Alterskohorten und Schultyp) ausdifferenziert, mit abrufbarem Hintergrundwissen für die Lehrenden vertieft und um Übungs- und Arbeitsblätter erweitert.
Um den Zugang zu den Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte barrierefrei zu halten, bauten wir eine eigene Webseite, die zugleich als Datenbank und Hub funktioniert.
Die Entwicklung der Online-Selbstlernkurse
Während der erste Phase der Corona-Pandemie mit Schulschließungen und Lockdown wandte sich das Medienbildungszentrum Nordsachsen an uns mit dem Vorschlag, das Lehrprogramm um Formen des „distance learning“ zu erweitern. So entstanden unsere aufwändig gebauten OSATs („Online Self Assessment Tool“). Dies sind digitale Selbstlernkurse, die auf unserer Plattform fit for news bereitstehen und von Lehrkräften, von Schülerinnen und Schülern sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern jederzeit und überall kostenfrei abgerufen werden können. Sie sind responsiv programmiert und lassen sich auf verschiedenen Endgeräten mit den gängigen Betriebssystemen nutzen.
Diese OSATs vermitteln die Inhalte auf allen drei Kommmunikationsebenen: Text, Audio und Video. Zudem verwenden sie interaktive Elemente (Quize und Ratespiele). Diese Interaktionen fördern die Motivation, fördern die aktive Beteiligung und ermöglichen den Nutzern, das soeben Gelernte mit einem Wissenscheck zu festigen.
Heute stehen drei OSATs zur Nutzung bereit:
- „Wie ich mich zuverlässig informiere“ (OSAT 1): Dieser Kurs orientiert über die Eigenheiten der Newsmedien, vermittelt die Qualitätsmerkmale glaubwürdiger News und zeigt den kritischen Umgang mit Nachrichten. In Übungsschritten und vielen Beispielen lernen die Nutzer, wie sie Nachrichten und Mitteilungen überprüfen können, aber auch, warum Nachrichten mitunter nicht überprüft werden können. Und ganz wichtig: Sie lernen zu verstehen, warum gerade in Krisen- und Konfliktzeiten manche Behauptung – auch aus Expertensicht – strittig bleiben muss. Über Übungsbeispiele lernen die Teilnehmenden im Übrigen auch die Möglichkeiten wie auch die Probleme der KI-basierten Chatbots (derzeit Bing-Copilot und Google-Gemini) näher kennen.
- „Kann ich Bildern trauen?“ (OSAT 2): Dieser Kurs führt in die heikle Welt der Bilder und Videogeschichten ein. Die Nutzer lernen, dass sie zunächst ihrer eigenen Wahrnehmung nicht immer vertrauen sollten. Sie lernen weiter, wie Bildmanipulationen erkannt und Bildfälschungen ermittelt werden können. Der Kurs behandelt zudem, wie mit neuen KI-Programmen Bild- und Videolügen (Deep Fakes) hergestellt werden, die oft nicht erkannt und nicht überprüft werden können. Daran lernen die Teilnehmer, wie sie ihren kritischen Verstand einsetzen und mit Werkzeugen der Internetrecherche solche Deep-Fakes dann doch erkennen (können). Dieser Anspruch ist deshalb wichtig, weil Bildaussagen gerade unter Jugendlichen eine hohe Wirkung erzeugen und zu Falschurteilen verleiten.
- „Mit Sozialen Medien kompetent umgehen“ (OSAT 3): Dieser sehr umfassend gestaltete Kurs wird auf zwei Niveaustufen angeboten. Er orientiert über die Struktur und Funktionsweise der Plattformen mit ihren Apps und Messenger-Diensten in der Welt der Social Media. Die Teilnehmenden lernen, wie sie fair interagieren, auf Mitteilungen eingehen und mit der besonderen Bildsprache der Apps umgehen. Sie lernen Eigenheiten der Apps und deren mitunter irreführenden Newsangebote (wie: Instagram, TikTok) kennen, ebenso das Geschäftsmodell der Plattformbetreiber und so auch die Beeinflussung des Nutzerverhaltens durch Anreize und Algorithmen.
Alle OSATs sind selbsterklärend konzipiert. Sie können zum Selbstlernen, für hybride Unterrichtsformen wie auch flankierend im Präsenzunterricht eingesetzt werden. Jeder der Kurse ist so strukturiert, dass jeder Abschnitt (Kapitel) für sich steht und modular eingesetzt werden kann. Die Inhalte sind so ausgewählt, dass sie für hybride Unterrichtsformen mit den entsprechenden Lehreinheiten kompatibel sind.
Attraktivität durch Aktualität
Die Lehreinheiten und Onlinekurse des fit for news-Programms verwenden aktuelle Beispiele, die – so weit möglich – der Alltagswelt der Auszubildenden entnommen wurden. Auch Nachrichtenbeispiele aus Newsmedien sind (soweit möglich) aktuell und werden deshalb periodisch ausgewechselt. Dank dieser Aktualität kann auch ein direkter Bezug zum Ereigniswissen der Schülerinnen und Schülern hergestellt und ein größeres Interesse am Unterrichtsstoff geweckt werden.
Auf diesem Wege lernen die Schülerinnen und Schüler, mit Mitteilungen, Beiträgen und Nachrichten in der Onlinemedienwelt reflektiert umzugehen. Die skeptische Sicht mancher Schüler auf die etablierten Medien wird nicht abgewehrt, sondern konstruktiv für die eigene Informationskompetenz genutzt. Damit wollen wir über die Medienwelt hinaus auch zum reflektierten Umgang mit Mitteilungen in Peergruppen wie auch in den beruflichen Umgebungen anleiten.
Spezielle Schulungsprogramme für die Berufsorientierung
In Gesprächen mit verschiedenen Organisationen, die sich um die Berufsorientierung kümmern, wurde der Bedarf nach niedrigschwelligen Tools zum Thema „Mediennutzungskompetenz in der Berufsfindung“ angemeldet: Vor allem für Jugendliche aus bildungsschwachen Milieus seien sprachlich einfache, kurze und direkt auf Anwendungswünsche bezogene Tools besonders hilfreich. Dieser Bedarf wurde von den Zuständigen der Einrichtung SchuleWirtschaft in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt bekräftigt.
Von daher entwickeln wir seit Anfang 2023 „Nuggets“ genannte Kurzeinheiten, die innerhalb weniger Minuten den Jugendlichen Kenntnisse vermitteln – sei es über die Social-Media-Plattformen, sei es Knowhow für einfache Recherchewege oder die Nutzung von Suchmaschinen oder Suche-Finde-Wege für zuverlässige Auskünfte über Berufsprofile, Lehrstellen und Ausbildungsanforderungen. Diese Tools verbinden basale Informationskompetenz mit eng gefassten Kenntnissen für die Berufsorientierung. Sie werden getestet und den Lehrkräften des Berufsvorbereitungsjahres, den Berufs- und Praxisberaterinnen, den Fachberatern sowie den Jugendberufsagenturen an die Hand gegeben.
Seit Frühherbst 2023 steht eine wachsende Anzahl dieser Themen-Tools unter der Rubrik „Für die Berufswelt“ auf der Startseite von fit for news zur Nutzung bereit. Darüber hinaus werden sie auf Plattformen, wie: Instagram und TikTok gepostet. Ziel ist es, den angehenden Azubis dabei zu helfen, sich in der undurchsichtigen Wissenswelt des Internets besser zurecht zu finden und ihnen so den Weg zur Berufsfindung zu ebnen.
Das Lehr-/Lernprogramm „Fit for news“ richtet sich an Lehrkräfte, Jugendarbeiter, Ausbilder und – nicht zuletzt – an die Jugendlichen selbst.
- Für den Schulunterricht gibt es neun modular konzipierte Lehreinheiten. Sie erklären die Online-Medienwelt und trainieren anhand vieler Übungsbeispiele den kompetenten Umgang mit Newsmedien, Plattformen und den Apps der Sozialen Medien.
- Für den hybriden Unterricht wie auch zum Selbstlernen stehen drei Online-Selbstlernkurse zur Verfügung. Hier lernen und üben die Teilnehmenden, wie sie Nachrichten überprüfen, wie sie mit Bildern und Videos kritisch umgehen und wie sie sicher und fair auf den Plattformen der Sozialen Medien agieren können.
- Für die Berufswelt – von der Berufsorientierungsphase bis zum Abschluss der Berufsausbildung – finden die Jugendlichen kurze, sehr einfach gebaute Anleitungen („Nuggets“), um die Suche/Finde-Routinen und Überprüfungsinstrumente des Internet zweckdienlich zu nutzen.
Alle drei Programmwelten sind aufeinander abgestimmt und anschlussfähig. Sie dienen dem Ziel, Informationskompetenz als Schlüssel für die digitale Medienwelt zu erwerben.
Zum Autor
Prof. em. Dr. Michael Haller ist wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig, das das Programm fit for news entwickelt hat. Bis zu seiner Emeritierung hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine und Spezielle Journalistik an der Universität Leipzig inne.
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