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Gemeinde- und Stadtratswahlen in Thüringen – Parteifrei ins Rathaus?

Am 26. Mai werden fast überall in Thüringen Gemeinde- und Stadträte gewählt. 63 Prozent der Sitze gingen bei der letzten flächendeckenden Gemeinderatswahl in 2019 thüringenweit nicht an die großen (Bundestags-)Parteien, sondern an „Sonstige“ – davon die allermeisten kommunale Wählergruppen und lokale Listen. Woran liegt das? Und: Ist das gut so?

Wahlberechtigte erhalten im Vorfeld der Kommunalwahlen 2024 eine Wahlbenachrichtigung.
Foto: Franziska Gräfenhan

Diese Veröffentlichung im Rahmen des Blogs stellt keine Meinungsäußerungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.


von Pierre Zissel

Am 26. Mai sind die Wählerinnen in Thüringen ab 16 Jahren dazu aufgerufen, die Kommunalvertretung Ihrer Gemeinde zu wählen. Diese ist – neben den Bürgermeisterinnen die ebenfalls am selben Tag in vielen Gemeinden zur Wahl stehen – das wichtigste politische Organ einer Stadt oder Gemeinde. Alle wichtigen Entscheidungen einer Gemeinde – etwa die Höhe der Gewerbe- und Grundsteuer oder der Fortbestand des kommunalen Schwimmbads – werden im Gemeinde- bzw. Stadtrat getroffen. Und: Bei kaum einer anderen Wahl haben die Wählerinnen ein größeres Stimmgewicht. Denn hier das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Wählerinnen und Gewählten geringer als bei Bundestags- oder Landtagswahlen. Außerdem kann man durch Kumulieren und Panaschieren die ursprüngliche Listenreihenfolge umgehen und auch Personen auf hinteren Listenplätzen in den Gemeinderat schicken.

Wer tritt an? Es kommt drauf an wo gewählt wird!
Wer eine Wahl gewinnen kann, ist zunächst dadurch vorbestimmt, wer überhaupt zu dieser Wahl antritt. Das Bewerberfeld wird sich wohl innerhalb des Freistaats sehr unterscheiden: In den großen und mittelgroßen Städten unterscheiden sich die Listenkürzel wohl kaum von denen einer Bundestags- oder Landtagswahl. Dort treten also in der Regel CDU, SPD, AfD, Linke und gegebenenfalls Grüne und FDP an. Neben den bundesweit agierenden Parteien wird in großen Städten sicher auch die eine oder andere Kleinpartei (z. B. VOLT, Piraten) auf dem Wahlzettel stehen. Aber auch lokale Wählergruppen – also Gruppen, die nur zu Kommunalwahlen antreten – spielen hier eine Rolle: In Jena sind zum Beispiel die „Bürger für Jena“ seit den 1990ern fester Bestandteil des Stadtrats.

Kleine Gemeinden: Wider dem Parteienmonopol?
In den kleinen Gemeinden des Freistaats sieht das anders aus: Dort sind Listen von Parteien nur vereinzelt auf dem Wahlzettel zu finden – nur die CDU schafft es noch halbwegs flächendeckend präsent zu sein. Kommunale Wählergruppen und lokale Listen prägen hier im ländlichen Raum mehrheitlich das kommunalpolitische Geschehen. Diese Listen, die häufig aus Vereinen wie der freiwilligen Feuerwehr hervorgehen, wirken kleinen Gemeinden als eine Art „Ersatzpartei“ und sind in der Summe vor allem ein eher loser Zusammenschluss lokal engagierter Bürgerinnen. Üblicherweise haben diese ein hohes Ansehen im Ort.

Stärke der Parteien abhängig vom Kontext
Die Parteipolitisierung der Kommunalpolitik, also der Grad zu dem die politischen Parteien das kommunalpolitische Geschehen „monopolisiert“ haben, hängt – so sind sich Politikwissenschaftlerinnen einig – von der Architektur der Kommunalverfassung, der Gemeindegröße, der politischen Kultur und dem Organisationsgrad der Parteien ab. Gerade die beiden letztgenannten Aspekte sind auch von der Gemeindegröße abhängig: Vergleichbar kleinere Parteien wie die FDP oder die Grünen haben in kleinen Orten gar nicht genug Parteimitglieder, die eine aktive Parteiarbeit vor Ort möglich machen.

Zudem organisiert die örtliche Gemeinschaft in kleineren Gemeinden häufig über Vereine, deren Akteure dann auch für den Gemeinderat kandidieren, ohne zwingend parteipolitisch gebunden zu sein. Ein wesentlicher Faktor hier: in einer kleinen Gemeinde kennt man sich oft persönlich. In größeren Städten hingegen können Vereine und lokale Listen gar nicht diese Integrationskraft aufbringen, weil dort zu viele unterschiedliche soziale Milieus aufeinandertreffen.

Kommunalpolitik – Nichts für Parteien?
Die normative Debatte, ob (Bundes-)Parteien in der Kommunalpolitik aktiv sein sollten, geht bis in die frühe Bundesrepublik zurück. Ein beliebtes Argument gegen Parteien in Gemeinderäten ist, dass es weder „sozialdemokratische Straßenbeleuchtung“ noch „christdemokratische Abfallentsorgung“ gebe. Die programmatischen Linien der Parteien seien nicht auf die Kommunalpolitik anwendbar, da sich diese letztlich vor allem um ideologiefreie Sachentscheidungen drehe. Parteien seien sogar eher hinderlich, da sie aus taktischen Motiven eine lokal angepasste Lösungsfindung blockieren würden. Kommunalpolitik ohne politische Parteien trage dazu bei, dass die örtliche Gemeinschaft nicht anhand politischer Differenzen gespalten werde.

Kritikerinnen dieser Position entgegnen, dass Sachfragen in vielen Politikfeldern (etwa Verkehr, Finanzen, Bauen, etc.) immer auch eine politische oder „ideologische“ Ebene haben. Die Vorstellung einer unpolitischen Kommunalpolitik sei mehr eine Wunschvorstellung als Realität. Parteien helfen dabei, die Interessen vieler gesellschaftlichen Strömungen im Stadtrat zu integrieren und die Gesellschaft politisch abzubilden. Zudem wird angenommen, dass Parteien den Gemeinderat als Institution gegenüber dem Bürgermeister bzw. der Bürgermeisterin stärken. Denn, konkurrenzorientierte Fraktionen von Parteien neigten mehr dazu, die Verwaltungsleitung zu kontrollieren, während parteifreie Akteure konsensueller und weniger kritisch seien.

Egal ob Partei oder lokale Liste: Ihre Stimme zählt!
Ob Sie sich am Wahltag für Kandidatinnen einer Partei, einer lokalen Liste oder einer Kombination aus Beidem entscheiden, bleibt natürlich Ihnen überlassen. Wichtig ist, dass Sie die kommunale Demokratie an der Wahlurne und darüber hinaus aktiv mitgestalten.


Zum Autor
Pierre Zissel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er arbeitet dort für das Forschungsprojekt Deutschland-Monitor, einer bundesweiten Umfragestudie, die Wirkung von lokalen Kontextbedingungen auf politische Einstellungen untersucht. Im Rahmen seiner Promotion erforscht Pierre Zissel den politischen Wettbewerb bei Wahlen auf Kreisebene.
Foto: Studioline Erfurt