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Europawahl

Europa und die EU

Hopp- oder Top-Thema für junge Leute und die politische Bildung?

Foto: Dörthe Hagenguth

Von Wieland Koch

Politische Bildung wendet sich angesichts verschärfter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und globaler Krisenvielen brandaktuellen Themen zu. Fragen der Europäischen Union scheinen auf den ersten Blick dabei nicht unbedingt an erster Stelle zu stehen. Ist das so, weil sie weniger bedeutsam, zu weit weg vom Alltagsleben der Menschen oder zu uninteressant sind? Müsste ein freiheitliches, demokratisches und friedliches Europa nicht eines der Zukunftsthemen in der politischen Bildung sein? Und wie könnten vor allem auch junge Leute für europapolitische Themen erwärmt, begeistert und sie davon überzeugt werden, sich am 9. Juni aktiv an den Europawahlen zu beteiligen?

Blick auf Europa

Wie blicken Europäerinnen und Europäer aktuell auf die Europäische Union? Das von der Europäischen Kommission herausgegebene Eurobarometer konstatierteim Dezember 2023 hohe Zustimmungswerte für die EU, sowohl in Europa als auch in Deutschland. Der ARD Deutschland Trend vermeldete dagegen schon im Juni 2023 einen „immer kritischeren“ Blick der Deutschen auf die EU. Junge Leute, so zeigen z. B. neuere Untersuchungen wie die der TUI-Stiftung oder auch das JUROP-Projekt, begegnen Europa und der Europäischen Union durchaus positiv. Allerdings begrüßen sie hauptsächlich die integrative Grundidee oder den Ausbau von innereuropäischen Freiheiten, beurteilen aus ihrer Sicht altbackene Institutionen und schwer durchschaubare politische Rituale jedoch eher skeptisch.

Die Europäische Union ist kein fertiges Produkt, sondern ein auf gemeinsamer Verabredung und Arbeit basierendes politisches Projekt, das es von möglichst vielen mit Stetigkeit und Innovation zu gestalten und voranzubringen gilt. Jede nachwachsende Generation ist hier neu gefragt und gefordert. Wer dabei erfolgreich sein will, der braucht im politischen Geschäft und gesellschaftlichen Handlungsraum eine solide Grundlage und Ausbildung genauso wie in jedem anderen Arbeitsfeld.

Europa im Blick

Hier ist neben den Medien, verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen oder auch Parteien selbstverständlich auch politische Bildung in und außerhalb von Schule gefragt! Wie und warum kam es zur europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg, mit welchen Erfolgen und Fehlentwicklungen? Was bringt die Europäische Union: dem Kontinent, den Staaten und Regionen sowie jedem Einzelnen? Welche Herausforderungen gilt es jetzt und in Zukunft zu meistern? Wie ist eine europäische Zukunft in Freiheit, Frieden, Sicherheit, Wohlstand möglichst gerecht für alle zu gestalten? Was kann ich persönlich dafür tun? Was steht andererseits auf dem Spiel, wenn destruktive antieuropäische Kräfte die Oberhand gewinnen? Viele Fragen, die auch die politische Bildung herausfordern.

Politische Europabildung – Labor der Selbsterfahrung und Selbstwirksamkeit für junge Leute

Politische Bildung muss unvoreingenommen, demokratisch und in einem gemeinsamen Prozess mit allen an ihr Beteiligten Antworten suchen und Lösungen erarbeiten. Effektiv wird sie vor allem dann, wenn sie nicht vom Katheder herab belehrt, sondern den Sich-Bildenden Selbsterfahrung und -wirksamkeit ermöglicht. Bei der Diskussion und Bearbeitung europapolitischer Fragen bedeutet das im besten Fall in der Gemeinschaft und im Austausch mit anderen Europäerinnen und Europäern.

In unserem Erstwählerprojekt „Gemeinsam für Europa“ haben sich engagierte junge Leute aus mehreren EU-Ländern mit eigenen Ideen für lokale und regionale Erstwählerprojekte beworben, die sie in Workshops im Rahmen von zwei mehrtägigen Jugendbegegnung zu konkreten Vorhaben weiterentwickelt haben, um sie in einem nächsten Schritt bei sich zu Hause in Schulen, Jugendzentren, Gemeinden, Vereinen etc. praktisch umzusetzen und zu  dokumentieren. Online und offline. In der Hoffnung, mit der Weitergabe ihres Europasachverstandes andere Jugendliche zu bereichern und sie mit ihrer Europabegeisterung anzustecken.

Politische Bildung kann so auf Augenhöhe agieren. Europäische Institutionen spielen selbstverständlich eine Rolle, Institutionenkunde aus Selbstzweck wird jedoch nicht betrieben. Sinistre europapolitische Traditionen und Rituale werden kritisch hinterfragt und nach Alternativen und Innovationen gesucht. So kann zur Mitgestaltung einer lebenswerten EU inklusive der Beteiligung an europäischen Wahlen motiviert und Europa zum Top-Thema werden!


Wieland Koch ist Referent der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Europapolitik, Europakunde, Partnerregionen sowie der Arbeitsbereich Neue Medien/Film und politische Bildung.

Foto: Aleksandra Rembowska