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Drei Lehren aus dieser Landtagswahl

Nun ist es endgültig: Die wahlberechtigten Thüringer haben einen neuen Landtag gewählt und den Freistaat damit an den äußersten Rand der Unregierbarkeit gebracht. Das Ergebnis dieser Landtagswahl führt zu mehreren wichtigen Erkenntnissen.

Bild: jorono auf Pixabay

Diese Veröffentlichung im Rahmen des Blogs stellt keine Meinungsäußerungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.


von Sebastian Haak

Seit dem 1. September um ziemlich genau 18.01 Uhr ist die jüngste Thüringer Landtagswahl immer wieder als „Zäsur“ beschrieben worden; von politischen Beobachtern aller Couleur, was Politikwissenschaftler ebenso einschließt wie Journalisten. Kaum hatten die Wahllokale geschlossen und die ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF waren öffentlich geworden, da war dieses Wort allgegenwärtig.

In gewisser Weise stimmt diese Interpretation des Wahlergebnisses selbstverständlich. Denn so, wie die wahlberechtigten Thüringer abgestimmt haben, hat mit der AfD nun wieder eine als rechtsextrem eingestufte Partei eine zumindest relative Mehrheit in einem deutschen Parlament – das erste Mal wieder seit 1945. Etwa jeder dritte Thüringer, der zur Wahl gegangen ist, hat diese Partei gewählt.

Auf andere Weise aber stimmt die „Zäsur“-Zuschreibung nicht. Und es ist wichtig, sich das immer wieder zu vergegenwärtigen, wenn es nun darum geht, was aus diesem Wahlergebnis folgt.

Im Gegenteil: Drei wichtige Erkenntnisse aus der Wahl unterstreichen, dass diese Wahl eben keine Zäsur war oder ist. Vielmehr findet damit nun etwas einen parlamentarischen Ausdruck, was außerhalb des Parlaments schon seit Langem zu beobachten, zu spüren ist. Tatsächlich werden mit dieser Wahl Dinge unterstrichen, die längst da waren – und die die Gestaltung der Zukunft dieses Landes zu einer Herausforderung machen und von der noch niemand weiß, ob und wie Thüringen sie bewältigen wird.

Erste Erkenntnis: Die politischen Lager sind ziemlich fest, gleichwohl sich an einer Stelle etwas bewegt.

Auch wenn im Wahlkampf alle Spitzenkandidaten aller Parteien ständig die Floskel wiederholt haben, Umfragen seien noch keine Wahlergebnisse, so zeigt das Wahlergebnis, dass die Demoskopen die Stimmung im Land sehr wohl sehr zutreffend vermessen haben. Insgesamt hat Thüringer ziemlich genau so abgestimmt, wie die Umfragen das schon seit Jahren nahegelegt haben. Nur das Auftauchen des BSW auf der landespolitischen Bühne hat überhaupt zu größeren politischen Verschiebungen geführt, die in Thüringen massiv zu Lasten der Linken gegangen sind. Wie nachhaltig diese Verschiebungen sein werden, lässt sich derzeit nicht seriös sagen, weil auch für das BSW die Risiken bestehen, die alle jungen und gehypten Parteien tragen: Dass sie sich zerstreiten, dass sie in der Wählergunst abstürzen, zerfallen, sich radikalisieren.

Offenbar wird damit, dass sehr, sehr viele Menschen in Thüringen inzwischen – massiv getrieben durch die Polarisierungen der Corona-Pandemie – politisch eine sehr gefestigte politische Einstellung haben. Davon haben sie sich auch durch den Wahlkampf oder andere Versprechungen nicht haben abbringen lassen.

Freilich gibt es immer jemanden, der seine Wahlentscheidung überdenkt. Deshalb hat es ja auch Wählerwanderungen gegeben. Doch – wie gesagt: mit Ausnahme der Wanderung von der Linken zum BSW – sind diese Bewegungen gemessen am Gesamtstimmungsbild ziemlich klein. Zum Nachrechnen, beispielhaft: Dass bei dieser Landtagswahl 15.000 Stimmen von der SPD zur CDU gewandert sind, bedeutet gemessen an der Gesamtzahl aller nun abgegebenen Stimmen eine Verschiebung von etwa 1,2 Prozent der Stimmen. Gemessen am Wahlergebnis 2019, wohlgemerkt. Nicht gemessen an der ziemlich zementierten Stimmung seit dem Ende der Pandemie.

Zweite Erkenntnis: Einem erheblichen Teil der Thüringer ist es inzwischen egal, dass die Thüringer AfD rechtsextreme Positionen vertritt, wenn sie nicht sogar mit diesen Positionen völlig einverstanden sind.

Diese Erkenntnis ist umso bitterer, weil die AfD bekanntlich nicht nur von einer staatlichen Behörde – dem Verfassungsschutz – als erwiesen rechtsextremes Beobachtungsobjekt eingestuft wird, sondern inzwischen mehrere unabhängige Gerichtsentscheidungen existieren, die diese Einstufung für zumindest plausibel halten. Vor allem aber ist diese Erkenntnis eine Absage an das stets und ständig wiederholte Narrativ, Menschen würden die AfD vor allem „aus Protest“ wählen.

Vielmehr muss das Ergebnis dieser Wahl eigentlich auch dem letzten Zweifler klar machen, was der Thüringen-Monitor seit zwanzig Jahren abbildet: Dass ein erheblicher Teil der Thüringer ein nach sehr weit rechts offenes Weltbild hat. Diese Gruppe ist selbstverständlich keine homogene Masse und der Grad ihrer Offenheit gegenüber rechtsextremen oder rechtspopulistischen Positionen ist im Einzelnen unterschiedlich stark. Aber dass ausweislich des Thüringen Monitors 2023 jeder fünfte Thüringer denkt, es gebe „wertvolles und unwertes Leben“ und jeder zweite Thüringer findet, „die Ausländer“ kämen „nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“, das sind Zahlen, die das aktuelle Wahlergebnis längst vorweggenommen haben; umso mehr, weil diese Werte seit Jahren verhältnismäßig konstant sind.

Menschen, die so denken, haben mit der AfD eine Partei gefunden, die ihren Überzeugungen eine politische Wirkmacht verleiht. Warum sollten sich diese Menschen zu einer anderen Partei hin orientieren?

Dritte Erkenntnis: Thüringen bleibt das politisch komplizierteste und unberechenbarste Bundesland Deutschlands.

Insbesondere die Stärke der AfD im Freistaat ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es schon seit Jahren so schwierig ist, Regierungskoalitionen gegen diese Partei zu schmieden – weil dafür so ziemlich alle übrigen im Parlament vertretenen Parteien – von der konservativen CDU bis hin zur linken Linken – irgendwie zusammenarbeiten müssen. Aus inhaltlichen Gründen ist das ebenso schwierig wie aus demokratietheoretischen Erwägungen. Denn, aus Sicht vieler Wähler: Wozu braucht es eigentlich noch mehrere Parteien abseits der AfD, wenn deren gemeinsame Klammer doch ist, eine Partei von der Macht fernzuhalten?

Aber eben weil die politischen Lager im Land so verfestigt sind und weil so viele Menschen keine Hemmungen haben, eine ganz rechtsaußen stehende Partei zu wählen, wird die AfD auch in den nächsten Jahren der Referenzpunkt für so ziemlich alle politischen Entscheidungen im Land bleiben – was zu Situationen wie der aktuellen führt, in der es keinerlei schon einmal erprobte Mehrheitsverhältnisse im Landesparlament jenseits der AfD gibt. So nah wie jetzt war das Land noch nie an der Unregierbarkeit.

Wie das alles weitergehen wird? Ich kann das nicht verlässlich voraussagen. So wie niemand, der derzeit in Thüringen Landespolitik macht oder beschreibt.


Zum Autor
Sebastian Haak arbeitet seit etwa zwanzig Jahren als freier Journalist in Thüringen. Der promovierte Historiker berichtet insbesondere über die Thüringer Landespolitik. Er schreibt unter anderem für Freies Wort, die Thüringische Landeszeitung und die Deutsche Presse-Agentur.
Foto: ari