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Blog Thüringen

Die Geister, die sie rufen

Es war erwartbar, dass es im Thüringer Landtagswahlkampf
sehr personalisiert zugehen würde; dass Namen wichtiger sein würden als
Inhalte. Nun ist es so gekommen. Das birgt große, zukünftige Gefahren – auch
für diejenigen, die den Wahlkampf so führen.

Foto: Goldline Fotografie / Barcamp Politik & Bildung 2024

Diese Veröffentlichung im Rahmen des Blogs stellt keine Meinungsäußerungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.


von Sebastian Haak

Es ist die kleine FDP, die in diesem Thüringer Landtagswahlkampf besonders exemplarisch zeigt, wie sehr sich Kampagnen auf Personen zuschneiden lassen. Klar, auch alle anderen politischen Mitbewerber der Liberalen setzen auf ihr Spitzenpersonal. Dafür ist Spitzenpersonal ja da. Aber die Liberalen bemühen sich nicht nur auf ihren Wahlplakaten nicht einmal darum, so zu tun, als würden sie vordringlich mit Inhalten für sich werben wollen. Ihr Programm ist eine Person: Thomas L. Kemmerich. Der inzwischen langjährige Vorsitzende der Thüringer FDP, der mit seiner Bundespartei über Kreuz liegt und auch aus diesem Konflikt politisches Kapital zu schlagen versucht.

Immerhin: Die Personen-Kampagne der FDP ist frisch und frech, ja sogar selbstironisch. Etwas, das politischer Kommunikation viel zu häufig fehlt. Über manche der Sprüche, die auf den FDP-Plakaten stehen, kann man gar nicht anders als schmunzeln. Am meisten vielleicht über diesen hier: „Zurückgetreten, um Anlauf zu nehmen.“ Auf dem entsprechenden Plakat sind Kemmerichs berühmt-berüchtigte Cowboy-Stiefel zu sehen, vor denen ein Blumenstrauß liegt. Dieses Foto war am 5. Februar 2020 entstanden, nachdem die damalige Linke-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow Kemmerich Blumen vor die Füße geworfen hatte, weil der sich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen.

Ein paar Tage später trat Kemmerich vom Amt des Regierungschefs zurück; auch auf Druck aus der Bundes-FDP hin, was ein Grund für das Zerwürfnis der Thüringer FDP mit der Bund-FDP ist.

In diesem Landtagswahlkampf sind Namen wichtiger als Inhalte

Aber gleichwohl die Kampagne der Landes-FDP außergewöhnlich personalisiert ist, sie eben doch nur ein Beispiel dafür, wie sehr in diesem Landtagswahlkampf Namen wichtiger sind als Inhalte.

Andere Beispiele gefällig?

Die Linken setzen so sehr auf die Strahlkraft ihres Spitzenkandidaten – Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow –, dass sie von ihm haben Großplakate aufstellen lassen, auf denen das Logo der Partei gänzlich fehlt. Dazu passt, dass vor allem die Linke-Landesvorsitzenden Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft keine Gelegenheit auslassen, um zu betonen, wer wolle, dass Ramelow Regierungschef bleibe, müsse ihre Partei wählen. Was Ramelow als Regierungschef in den nächsten Jahren tun will, wird in den entsprechenden Reden gerne erst ein paar Minuten später aufgezählt.

Auf einer anderen Ebene noch krasser ist die Sache beim Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW: Diese noch sehr junge Partei setzt sogar im Thüringer Landtagswahlkampf so sehr auf ihre Gründerin, dass das Gesicht Wagenknechts von zahllosen Wahlplakaten der Partei herunter lächelt – obwohl sie selbst bei dieser Landtagswahl überhaupt nicht wählbar ist. In manchen Regionen waren die Plakate mit Wagenknechts Konterfei drauf wochenlang trotzdem die einzigen BSW-Plakate überhaupt, ehe weitere Plakate mit den Gesichtern der in Thüringen wählbaren Spitzenkandidaten sie ergänzten. Dazu wiederum passt freilich, dass das BSW auch suggeriert, mit der Abstimmung darüber, wie der nächste Thüringer Landtag zusammengesetzt ist, werde irgendwie darüber entschieden, wie sich der Krieg in der Ukraine weiterentwickeln wird.

Zuspitzung auf eine einzelne Person ist immer ein Risiko

Eine derartige Zuspitzung des Wahlkampfs auf einzelne Personen ist für die jeweiligen Parteien immer ein Risiko. Weil schon ein einziger Skandal, in den sich ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin vielleicht verstrickt, am Ende die gesamte Partei mit herunterreißen kann.

Diese Polarisierung ist aber auch eine Gefahr für die politische Kultur im Land, was wiederum auch ein Risiko für alle politisch Aktiven ist. Die Zustimmung zu einer Partei wird so nämlich erheblich emotionalisiert. Mag man Kemmerich? Oder Ramelow? Oder Wagenknecht? Das wird so schließlich wichtiger, als die inhaltliche Frage, ob man die politischen Positionen der FDP teilt, der Linken, des BSW. In einem über und über personalisierten Wahlkampf entscheidet das Bauchgefühl mehr als der Kopf.

Falsch ist das einerseits deshalb, weil es in der Politik doch eigentlich oft um handfeste, inhaltliche Fragen geht. Etwa in der Schulpolitik. Soll es mehr gemeinsamen Unterricht mit längerem gemeinsamen Lernen in Thüringen geben (eine eher rot-rot-grüne Position) oder soll das klassische, dreigliedrige Schulsystem plus Förderschulen wieder gestärkt werden (eine eher CDU-FDP-Position). Das ist eine Frage, auf die jeder für sich eine Antwort mit dem Kopf finden sollte. Nicht mit dem Bauch.

Personalisierung produziert nicht nur Zustimmung zu den Personen

Andererseits ist diese Personalisierung geradezu fatal, weil sie nicht nur Zustimmung zu einzelnen politischen Personen und Parteien produziert, sondern im Umkehrschluss natürlich auch Ablehnung – die angesichts von Diskursbeschleunigung und Fake News allzu oft in blanken Hass umschlägt. Es ist nach einem personalisierten Wahlkampf immer nur ein kleiner Schritt von der Ablehnung einer Partei hin zur auch ganz persönlichen Abwertung von deren Spitzenkandidaten. Was natürlich die Gefahr nicht zuletzt körperlicher Angriffe auf das Spitzenpersonal der Parteien noch steigert, die schon jetzt hoch ist und zu Recht beklagt wird.

Die Geister, die in einem personalisierten Wahlkampf gerufen werden, gehen nicht wieder so schnell fort. Auch nicht nach dem 1. September.


Zum Autor
Sebastian Haak arbeitet seit etwa zwanzig Jahren als freier Journalist in Thüringen. Der promovierte Historiker berichtet insbesondere über die Thüringer Landespolitik. Er schreibt unter anderem für Freies Wort, die Thüringische Landeszeitung und die Deutsche Presse-Agentur.
Foto: ari