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Bratwurst, vegan, Dinkel-Brötchen

Es gibt viele Floskeln, die Politiker benutzen, wenn sie Wahlkampf machen. Zu den in Thüringen derzeit beliebtesten gehört die Behauptung, die politische Lage lasse sich noch nachhaltig verändern, weil „Umfrageergebnisse keine Wahlergebnisse sind“. Blöd nur, dass gerade Europawahl war – und deren Ergebnis die Umfragen zur politischen Stimmung im Land nachdrücklich bestätigt hat.

Manche Wahlergebnisse sind in Thüringen so absehbar, wie dass sich vegane Bratwurst im Dinkelbrötchen durchsetzen wird.
Foto: Markus Spiske auf Unsplash

Diese Veröffentlichung im Rahmen des Blogs stellt keine Meinungsäußerungen der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.


von Sebastian Haak

Die Frau, die heute Finanzministerin in Thüringen ist, hat vor zehn Jahren schon erleben müssen, wie es ist, wenn man im Wahlkampf mehr oder weniger dazu gezwungen wird, Dinge zu sagen, von denen eigentlich jeder weiß, dass sie politisch-realistisch kaum zu erreichen sind. Damals war Heike Taubert Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl 2014, aufgestellt und vermarktet von ihrer Partei als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin. Dabei war schon bei ihrer Nominierung sehr, sehr absehbar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD die Regierungschefin stellen würde, ungefähr so groß war, wie die Wahrscheinlichkeit, dass sich in Thüringen vegane Bratwürste ohne Salz, ohne Pfeffer und ohne Kümmel durchsetzen werden; auf die Hand, im Dinkel-Brötchen.

Im Wahlkampf musste Taubert dann trotzdem immer wieder sagen, sie wolle Ministerpräsidentin werden. Sie könne das auch schaffen. Das ging so weit, dass Taubert sich in der SPD-Zeitung Vorwärts vor der Landtagswahl sogar mit diesen Worten zitieren lassen musste: „Ministerpräsidentin, das kann ich.“ Das Ergebnis, dann, wie erwartet: Die Sozialdemokraten kamen auf einen Zweitstimmenanteil von 12,4 Prozent. Freilich wären sie heute glücklich über einen solchen Wert. Doch vor zehn Jahren waren das ebenso etwa 6 Prozentpunkte weniger als bei der Landtagswahl 2009 wie es das endgültige Ende der ziemlich schlechten Illusion war, Taubert könne für die SPD in die Staatskanzlei einziehen.

Taubert – die loyale Parteidienerin – nahm das alles damals mit Fassung, wie sie so vieles seit damals mit Fassung genommen hat.

Optimismus scheint ein bedeutender Teil der ewig währenden Gesetze des Wahlkampfes

Aber auch wenn diese Geschichte jetzt schon mehrere Jahre alt ist, so hat sie nichts von ihrer Aktualität verloren. Immerhin scheint es zu den ewig währenden Gesetzen des Wahlkampfs zu gehören, dass die Wahlkämpfer dabei stets und ständig Optimismus verbreiten – auch wenn alle Anzeichen daraufhin deuten, dass sie für diesen Optimismus keinen Grund haben. Oder das die Szenarien, die sie entwerfen, einigermaßen substanzlos sind.

Im Landtagswahlkampf des Jahres 2024 gilt das ebenso für den zumindest teilweise von Rot-Rot-Grün noch immer proklamierten Anspruch, Linke, SPD und Grüne wollten nach der Wahl wieder eine eigene Mehrheit im Landtag erreichen, wie das für das von der CDU protegierte Szenario gilt, die Union könnte nach der Wahl mit SPD und FDP eine „Deutschland-Koalition“ mit eigener Mehrheit im Landtag bilden. Beides ist so realistisch wie… Sie wissen schon, Bratwurst, vegan, Dinkel-Brötchen.

Wer auch immer in den vergangenen Monaten öffentlich von einer eigenen rot-rot-grünen Mehrheit oder einer mit eigener Mehrheit ausgestatteten Deutschland-Koalition träumte, der konnte immerhin eine der abgedroschensten Floskeln bemühen, die es im Wahlkampf-Deutsch so gibt. Nämlich, der binsenhaften Feststellung, dass „Umfrageergebnisse keine Wahlergebnisse sind“. Was natürlich als Fakt stimmt und als Aussage im Wahlkampf stets mit der Hoffnung verbunden wird, die politische Lage lasse sich innerhalb weniger Wochen noch grundsätzlich verschieben, drehen. Frei nach dem Motto: „Wenn wir nur einen richtig guten Wahlkampf machen, dann können wir Stimmung noch drehen, die sich über Jahre hinweg aufgebaut hat!“

Die Europawahl spiegelt die politische Lage in Thüringen

Blöd für all diese Floskel-Rufer ist allerdings, dass das Ergebnis der Europawahl in Thüringen nun eindringlich zeigt, wie wenig sich die politische Lage im Land wirklich noch grundlegend drehen lässt; jedenfalls innerhalb von Monaten; wie präzise die politischen Meinungsumfragen zur Landtagswahl 2024 offenbar dem entsprechen, was bei Wahlen jenseits der kommunalen Ebene zu erwarten ist.

Denn im Ergebnis der Europawahlen sind die für Thüringen maßgeblichen Parteien alle ungefähr so stark geworden, wie die die Umfragen zur Landtagswahl – die immer auch ein paar Prozentpunkte Streubreite nach oben und unten haben – das schon seit Monaten nahelegen: Die AfD hat etwa ein Drittel der Stimmen erhalten und ist damit stärkste Kraft geworden. Zweistärkste Kraft ist die CDU mit etwa einem Fünftel der Stimmen. BSW kommt aus dem Stand auf einen Stimmenanteil von etwa 15 Prozent. Grüne und FDP liegen mehr oder weniger knapp unterhalb der Marke von fünf Prozent der abgegebenen Stimmen.

Nur das Ergebnis der Linken bei der Europawahl in Thüringen – knapp unterhalb von sechs Prozent Stimmanteil – entspricht nicht dem, was für diese Partei nach den Landtags-Umfragen zu erwarten gewesen wäre, was daran liegt, dass der Amtsbonus von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bei einer Europawahl seiner Partei nichts nützen kann.

Umfragen zur Landtagswahl liefern in Thüringen seit zwei Jahren ähnliche Ergebnisse

Damit manifestiert sich also, dass – abgesehen von der Causa Linke/Ramelow – die Umfragen in Thüringen gerade eben nicht nur Umfragen sind, sondern in diesem Freistaat in diesem Jahres politische Stimmungen und damit Wahlergebnisse ziemlich genau vorwegnehmen; was freilich schon deshalb für alle, die keinen Wahlkampf machen, keine riesengroße Überraschung sein kann, weil die Wahlumfragen zur Landtagswahl seit inzwischen zwei Jahren schon ziemlich gleich aussehen, wenn man Sondereffekte wie das Auftauchen des BSW vor wenigen Monaten heraus rechnet.

Anders, zugespitzter ausgedrückt: Wie die Landtagswahl 2024 in groben Zügen ausgehen wird, scheint inzwischen ziemlich klar zu sein, weil die allermeisten Menschen sich schon entschieden zu haben scheinen, welcher Partei sie jedenfalls zurzeit zuneigen.

Das meint freilich nicht, dass damit alles klar wäre. Schon ein paar hundert oder tausend Stimmen können am Ende einen großen Unterschied machen. Am deutlichsten wird das am Beispiel der Grünen: Ob sie mit einem Zweitstimmenanteil von 4,9 Prozent den Einzug ins Landesparlament schaffen oder nicht, wird auf die Mehrheitsoptionen dort einen großen Einfluss haben. Aber dass sich die politische Grundstimmung im Land noch grundlegend drehen wird, scheint gerade im Licht der Europawahl doch mehr als unwahrscheinlich.

Noch spannender als das Wahlergebnis selbst wird deshalb, was die Vertreter der verschiedenen Parteien mit dem sich so deutlich abzeichnenden Wählervotum schließlich anfangen werden. Das ist nämlich noch nicht mal in groben Zügen absehbar. Auch nicht nach der Europawahl.

Vielleicht hilft ja eine Bratwurst, vegan, mit Dinkel-Brötchen beim Nachdenken.


Zum Autor
Sebastian Haak arbeitet seit etwa zwanzig Jahren als freier Journalist in Thüringen. Der promovierte Historiker berichtet insbesondere über die Thüringer Landespolitik. Er schreibt unter anderem für Freies Wort, die Thüringische Landeszeitung und die Deutsche Presse-Agentur.
Foto: ari